Erziehung & Wissenschaft
Mai 2013



„Da ist der Brokkoli grün“

Essenszeit an der Gesamtschule Niederwalgern bei Marburg: Hinter der Theke füllen Frauen mit grünen Schürzen und Kappen Fischbratlinge und Spagetti auf die Teller. An der Salat-, Obst- und Gemüsebar greifen die Jugendlichen herzhaft zu: „Wenn sie sich den Salat selbst zusammenstellen können, essen sie mehr davon“, weiß der Projektleiter Schulverpflegung, Michael Freiling. „Das Essen ist richtig lecker“, bestätigen die Schüler der sechsten Klasse, die auf die nächste Nudelportion warten. Nur Pizza könnte es noch öfter geben, monieren sie.

Die Gesamtschule Niederwalgern ist für ihr Schulessen ausgezeichnet worden: Drei Kochmützen und damit die höchste Prämierung haben die Mahlzeiten in der lichtdurchfluteten Mensa von der AG Schulverpflegung der Hochschule Niederrhein bekommen. Untersucht wurden etwa Vollwertigkeit der Kost, Abwechslung und Hygiene. Ökotrophologie-Professor Volker Peinelt, der das Projekt wissenschaftlich begleitet: „Das ist natürlich kein Gourmetrestaurant. Aber das Gemüse ist bissfest, das Fleisch schmackhaft. Am Fisch gibt es nichts auszusetzen.“

Damit bildet die Caféteria eine Ausnahme. „Insgesamt ist die Qualität der Schulverpflegung mangelhaft“, sagt Peinelt. Dabei sind die mehr als 14 000 Ganztagsschulen in Deutschland nach einem Beschluss der Kultusminister verpflichtet, ein warmes Mittagessen anzubieten. Doch während Uni-Mensen professionell organisiert werden, setzten die Schulträger oft auf Sparmodelle, kritisiert der Experte.

So werden etwa zwei Drittel der deutschen Schulmensen von so genannten Warmverpflegern versorgt. Das bedeutet, dass die Mahlzeiten meist schon am Vormittag in Zentralküchen gekocht und dann ausgeliefert werden. Vier bis sechs Stunden Warmhaltezeit sind dann nicht ungewöhnlich. Die Folge: Zerkochtes Gemüse, das kaum Geschmack und Vitamine hat.

Die Gesamtschule Niederwalgern hat sich für einen anderen Weg entschieden: „Cook and Chill“ heißt das Verfahren, bei dem eine Zentralküche die Gerichte aus regionalen, gentechnikfreien Produkten lediglich vorkocht und tiefgekühlt an die Schulen liefert. Dort werden sie dann schonend dampferhitzt und fertig gegart. Freiling, selbst Koch, hält viel davon: „Da ist der Brokkoli grün, da sind die Karotten rot. Da gibt es nie etwas Braunes oder Matschiges.“ Geliefert wird das vorgegarte Essen von einem Caterer aus dem Hundert Kilometer entfernten Frankfurt.

Natürlich wäre es ideal, wenn in den Schulen selbst gekocht würde. „Aber das ist das teuerste System“, sagt Ökotrophologin Elke Liesen vom Schulessen-Projekt der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Dazu brauche es genügend Zeit, Geld und Fachplaner. Deshalb gibt es nur wenige Schulen mit eigener Frischküche.

Manchmal stellt sich der Schulträger so hinter das Projekt, dass eine Schulküche finanziert werden kann. So war es zum Beispiel bei der von der DGE preisgekrönten Mensa der Gemeinschaftsschule Schafflund im Norden Schleswig-Holsteins. Dort steigt die Zahl der Schüler, die am Mittagstisch teilnehmen, freut sich Konrektor Ulf Rottschäfer.

Dagegen musste die Ahlener Mammutschule hart um ihr Schulrestaurant kämpfen: „Wir wollten uns nicht beliefern lassen. Wir wollten unbedingt selbst kochen“, erzählt Schulleiterin Gabriele Stöver. Als sie sich ihre Küche in Eigenregie zusammenkauften, seien sie mitleidig belächelt worden.

Heute gilt das ebenfalls von der DGE ausgezeichnete Schulrestaurant als Vorzeigeprojekt für gesunde Ernährung. Jeden Mittag versammeln sich die Grundschüler in altersgemischten Gruppen um die Tische. Das Essen wird in Schüsseln auf den Tisch gestellt und erklärt. „Wir schaffen eine Familienatmosphäre“, sagt Stöver. Zumindest eine Gabel voll müssen die Kinder auch von Spinat, Kohlrabi oder Fisch probieren. Das gehört zum Prinzip. Dazu gibt es ein tägliches Frühstücksbuffet, Kräuter und Obst aus dem Schulgarten.

„Wir stellen fest, dass sich das Essverhalten der Kinder ändert“, freut sich die Schulleiterin. Es werde wesentlich mehr Gemüse und Salat als in der Anfangszeit gegessen. Allerdings ist die Mittagsverpflegung für die Kinder, die das Ganztagsangebot nutzen – derzeit 95 - auch verpflichtend. Das gab bei der Einführung harte Diskussionen mit den Eltern, aber anders seien die hohe Qualität des Essens und der günstige Preis von 2,30 Euro nicht zu halten.

Im Durchschnitt kostet die warme Schulmahlzeit in Deutschland 2,50 Euro. Die Preise reichen je nach Bundesland von 1,90 Euro in Thüringen bis zu 4,20 Euro in Bayern. Darauf wird der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent erhoben. Dagegen zahlen Jugendliche für Döner, Pommes und Bratwurst zum Mitnehmen nur den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Arme Kinder können mit Hilfe des Teilhabepakets für einen Euro in der Schulkantine speisen. Bioessen gibt es nur selten. Eine Ausnahme bildet die Stadt München, die von ihren Caterern einen Bioanteil von 50 Prozent fordert.

Der Preis für die Schulmahlzeiten hängt natürlich auch an der Frage, wie viele Kinder regelmäßig in die Kantine gehen: In Niederwalgern ist die Teilnahme am Mittagessen wie fast überall in deutschen Schulmensen freiwillig. Es werden aber weder Brötchen noch Snacks parallel angeboten. Trotzdem machen nur 100 bis 200 der 700 Schüler mit.

Ganz anders ist das System in Japan, wo die als hervorragend geltende Schulverpflegung zentral organisiert wird. Gemüse wird in jeder Schule von Hand geputzt und frisch zubereitet. Allerdings haben die japanischen Schüler keinerlei Auswahl: Es gibt immer nur ein Mittagessen, an dem alle teilnehmen. Das sorgt für weniger Aufwand und niedrige Kosten. Verzehrpflicht ist bei deutschen Schülern und Eltern allerdings kaum durchsetzbar.
Gesa Coordes