Frankfurter Rundschau
12. Juni 2009
Professor House
Marburger Medizinstudenten lernen mit der RTL-Arztserie
Von Gesa Coordes
MARBURG. Dr. House wäre in jeder Klinik schon zehnmal rausgeschmissen worden, betont der Marburger Medizinprofessor Jürgen Schäfer. Deswegen warnt er die Studierenden jeden Dienstag: „Die durchgeknallte Persönlichkeit von Dr. House entspricht in keinster Weise dem Arztbild der Philipps-Universität.“ Trotzdem nimmt Schäfer die beliebte Fernsehserie mit Hugh Laurie zum Anlass, um seltene Erkrankungen zu besprechen. „Dr. House revisited“ oder „Hätten wir den Patienten in Marburg auch geheilt?“, heißt der Titel des Seminars, mit dem der Kardiologe bundesweit Neuland betritt.
Obwohl es keinen Schein für das Lernen nach Dr. House gibt, kommen jeden Dienstagabend etwa 50 angehende Mediziner, wenn verzwickte Krankheiten anhand von Schlüsselszenen aus der Serie vorgestellt werden. Wird der Patient ohnmächtig oder spuckt er Blut, drückt Schäfer auf die Stopp-Taste. Dann überlegt er gemeinsam mit den Studierenden, was der Kranke haben könnte. Dabei lernen sie auch, ihre Diagnose immer wieder zu hinterfragen und neue Befunde zusammenzupuzzeln.
Für den Unterricht sei die Serie geradezu ideal: „Die Patienten von Dr. House haben alles, was im Medizinlehrbuch steht“, weiß Schäfer. Nur, dass die dramatischen Szenen aus der TV-Klinik natürlich besser hängen bleiben als die Fußnote in der wissenschaftlichen Abhandlung. Aber der Hochschullehrer ist überzeugt: „Wenn man es ernsthaft betreibt, ist Medizin wie ein Krimi.“
Da ist die Kindergärtnerin, die mit einem schweren epileptischen Anfall in die Klinik von Dr. House eingeliefert wird. Das Team rätselt, was die Ursache der Krankheit sein mag: Ein Hirntumor, eine Hirnverletzung, die Wernicke-Enzephalopathie, die Creutzfeld-Jakob-Krankheit oder eine Vaskulitis? Natürlich alles falsch. Die Patientin entgeht nur knapp dem Tod, bis Dr. House schließlich die richtige Diagnose stellt: Ein Schweinebandwurm im Gehirn hat die Epilepsie ausgelöst, die nun mit einem Entwurmungsmittel behandelt werden kann.
Den Fall, da ist sich Schäfer ziemlich sicher, hätte die Marburger Universitätsklinik schneller als Dr. House gelöst. Bei anderen Krankheiten kann er nicht garantieren, dass sie auf die richtige Diagnose gekommen wären.
Der ungewöhnliche Unterricht kommt an. „Ich habe mich immer gefragt, ob die Fälle realistisch sind“, erklärt Medizinstudentin Andrea Förster die Faszination. In Marburg beteiligen sich inzwischen drei weitere Mediziner an dem Seminar, das auch in Zukunft auf dem Lehrplan bleiben soll. Schließlich haben die Professoren sonst durchaus Mühe, die Studierenden in den Hörsaal zu locken. In Berlin, Bonn und Jena soll das Projekt nachgeahmt werden.
Medizinisch ist die Serie nämlich sehr gut recherchiert, erzählt Schäfer. Die Krankheitssymptome, Dosierung und Auswahl der Medikamente stimmten meist bis ins Detail. Trotzdem schildert er in jedem Fall, was die Ärzte in Marburg anders gemacht hätten: Natürlich sollen die Studierenden nicht in die Wohnungen ihrer Patienten einbrechen, um nach Hinweisen auf rätselhafte Krankheiten zu suchen. Eine ordentliche Anamnese würde auch reichen. Meist ist der Fernseharzt auch viel zu schnell mit seinen Behandlungen dabei. Und, so Schäfer: „Wir wären wesentlich freundlicher, weniger zynisch und weniger aggressiv.“
Menschlich findet Dr. Schäfer seinen amerikanischen Fernsehkollegen nämlich ziemlich fies. Auf der anderen Seite machten nette Ärzte allein nicht gesund. Am besten wäre der Charakter von Dr. Brinkmann mit den diagnostischen Fähigkeiten von Dr. House, sinniert der Fachmann für präventive Kardiologie.
Trotzdem stört sich er nicht daran, wenn ihn verzweifelte Patienten mit nicht diagnostizierten Krankheiten aus dem ganzen Bundesgebiet als den „deutschen Dr. House“ ansprechen. „Fachlich wäre ich gern so gut“, sagt Schäfer: „Menschlich möchte ich nicht so verkümmern.“