Deutsche Universitätszeitung
2/2006

Der Mann, der für Freiheit spricht

Von Gesa Coordes

Es ist ein Zufall gewesen. Als Bernhard Maisch vor dreieinhalb Jahren zum Dekan des Marburger Fachbereichs Medizin gewählt wurde, kam er zu diesem Amt wie viele Wissenschaftler vor ihm: „Ich habe mich breitschlagen lassen“, räumt der Kardiologe freimütig ein. Als Listensprecher der Unabhängigen Hochschullehrer im Fachbereich betrachtete er es als seine Pflicht, „sich einer solchen Aufgabe nicht zu verweigern“. Hätte er damals schon gewusst, was auf ihn zukommt, hätte er das Amt vielleicht gar nicht angetreten.

Doch damals ahnte noch niemand, dass die mittelhessischen Uni-Kliniken Schauplatz einer umwälzenden Veränderung werden könnten: Mit der Fusion der Standorte Marburg und Gießen entstand der mit 41 Kilometern zweitlängste Krankenhausflur Europas sowie der größte Arbeitgeber der Region. Jetzt wird das fusionierte Klinikum Gießen und Marburg an die Rhön-Klinikum AG verkauft. Damit betritt das Land Hessen völliges Neuland. Es handelt sich um die bundesweit erste Privatisierung einer Universitätsklinik. „Es gibt nichts, worauf wir zurückgreifen können“, sagt der Dekan.

Und vor Bernhard Maisch liegt eine Aufgabe, von der manche sagen, dass sie kaum zu schaffen sei. Der Wissenschaftsrat hat dem Dekan nämlich eine zentrale Rolle bei der Privatisierung zugewiesen: Als Wächter der Wissenschaft soll er die Freiheit von Forschung und Lehre schützen.

„Das ist doch die Uraufgabe der Dekane“, schwächt Maisch den Anspruch ab. Dabei ist er einer der bemerkenswertesten Gegner von Fusion und Privatisierung. Noch vor wenigen Monaten kritisierte der 58-Jährige, dass mit dem Marburger Großkrankenhaus eines der wenigen rentablen Universitätskliniken Deutschlands privatisiert werden solle. Auch die Freiheit von Forschung und Lehre sah er bedroht. So deutlich sagte dies niemand sonst an der Spitze des Großkrankenhauses. Um zumindest die Fusion mit dem defizitären Gießener Uni-Klinikum zu verhindern, versuchte er gemeinsam mit weiteren Marburger Medizinprofessoren, das Klinikum im „Management Buyout“-Verfahren selbst zu übernehmen. Indes: Trotz der Vermittlung des ehemaligen Kanzleramtsministers Friedrich Bohl (CDU) ließ Hessens Ministerpräsident Roland Koch Maisch und seine Kollegen wenig interessiert abblitzen.

Jetzt richtet sich der Herzspezialist auf die neuen Herren des Klinikums ein. Immerhin war die Rhön-Klinikum AG der Wunschkandidat der Wissenschaft, weil der Krankenhausbetreiber besonders große Zugeständnisse an Forschung und Lehre sowie hohe Investitionszusagen gemacht hat. Für 370 Millionen Euro will Rhön ein weitgehend neues Zentralgebäude in Gießen sowie eine „Kopfklinik“ auf den Marburger Lahnbergen errichten. Dazu kommen 107 Millionen Euro für die Einrichtung des weltweit ersten Zentrums für Partikeltherapie in Marburg, das neue Wege in der Tumorbekämpfung beschreitet. Geplant ist ein Zentrum für Pandemieforschung, in dem es zum Beispiel um die Abwehr der Vogelgrippe geht. Zudem hat das Rhön-Klinikum die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre vertraglich zugesichert.

Trotzdem lässt der mittelhessische Modellfall die Alarmglocken der Wissenschaft läuten. Nach Einschätzung der Hochschulrektorenkonferenz wird das hessische Modell Schule machen. Marode Klinika mit großen Investitionsrückständen, die von den Ländern kaum noch zu stemmen sind, gibt es in ganz Deutschland. Noch in diesem Jahrzehnt werden nach Schätzungen der Hochschulrektorenkonferenz fünf bis zehn weitere Uni-Kliniken privatisiert werden. Erste Erfahrungen werden jedoch erst in zehn Jahren vorliegen, wenn sich die Entwicklung nicht mehr zurückdrehen lässt, sagt der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Karl Max Einhäupl.

Das sieht auch Bernhard Maisch so, dessen zweite Amtsperiode noch bis 2008 läuft. Nach dem Gesetz zur Privatisierung der Uni-Klinika wird er ebenso wie sein Gießener Kollege Michael Piper mit beratender Stimme und Antragsrecht in der Geschäftsführung des privatisierten Universitätsklinikums mitwirken. Dagegen hatte der Wissenschaftsrat zunächst eine stimmberechtigte Mitgliedschaft empfohlen. Bei strittigen Entscheidungen kann der Dekan jedoch ein Veto einlegen, das aufschiebende Wirkung hat. Die Streitfragen werden dann einer paritätisch besetzten Schlichtungskommission vorgelegt. In Pattsituationen entscheidet der vom Land eingesetzte Kommissionsvorsitzende. Zudem kann das Wissenschaftsministerium als Rechtsaufsicht auch direkt angerufen werden. „Das ist eine schwache Waffe“, sagt Maisch, „aber es ist immerhin eine.“

Dabei ist der 58-jährige Dekan auch nach seiner eigenen Einschätzung „reiner Amateur“, wenn er den Managern der Krankenhauskette gegenübertritt. Tatsächlich war er politisch nie aktiv und hat als Forscher, Kliniksleiter und Hochschullehrer andere Aufgaben. Trotzdem scheint der Kardiologe mit den gewinnenden Umgangsformen ein Glückstreffer zu sein. Maisch gilt nämlich nicht nur als einer der arbeitswütigen und ehrgeizigen Spitzenverdiener des Großkrankenhauses, er ist auch ein geschickter Kommunikator, der jeden kennt. „Wenn er in der Politik wäre, wäre er erfolgreich“, urteilt der Marburger Mediziner Thomas Spies, der für die SPD im Landtag sitzt. So hat er auch in der Vergangenheit schon sehr hart um Gelder verhandelt. Und dabei bleibt der Mann mit der Napoleon-Statur immer freundlich, offen und umgänglich.

Die Studierenden mögen seine anschaulichen, zum Mitdenken anregenden Vorlesungen. Schließlich wollte der Schwabe, der in Vorträgen auch schon einmal Bloch oder Kant zitiert, einst Lehrer für Politik und Geschichte werden. Dann fand er, dass die Medizin, vor allem die Kardiologie, die größere Herausforderung sei. Seit 17 Jahren ist er Leiter der Marburger Klinik für Kardiologie. Um die Vierfachbelastung von Dekanat, Lehre, Forschung und Klinik zu bewältigen, fängt er schon um 5.30 Uhr an zu arbeiten. „Das ist jemand, der sich sehr große Aufgaben zumutet“, sagt ein Kollege.

Die Mischung aus Hartnäckigkeit, Mut und Verhandlungsgeschick wird er brauchen. Mögliche Konfliktfelder gibt es viele: Die Ärzte müssen für Lehrveranstaltungen freigestellt werden. „Da braucht es Abstimmungen“, sagt Maisch. Laboreinrichtungen können vor allem der Forschung oder der Krankenversorgung dienen. Potenziell gefährdet sind alle nicht für die Krankenversorgung rentablen, aber für Lehre und Forschung essentiellen Fächer. Natürlich wird sich auch die Forschung verändern – durch Unterstützung oder Fehlen von gemeinsamen Investitionen. Dadurch könnte die Grundlagenforschung ins Hintertreffen geraten.

Bislang sind die Lehrstuhlinhaber in der Regel auch die Chefärzte. Deren Positionen fallen aber eigentlich in die Zuständigkeit des privaten Krankenhausbetreibers. Deswegen hat die Rhön-Klinikum AG auch ein Vetorecht bei Berufungen – allerdings nur, wenn der Bewerber nicht für die Krankenversorgung geeignet ist.

Bernhard Maisch geht unterdessen davon aus, dass die meisten Konflikte anders gelöst werden: „Ich will versuchen, einen Konsens hinzukriegen.“ Er sieht auch einen Vorteil der Privatisierung. Die Gelder für Wissenschaft und Krankenversorgung könnten so getrennt werden, dass es keine Quersubventionierung für die Krankenversorgung mehr gebe. Dadurch könnten die Mittel für Forschung und Lehre, die weiterhin vom Land kommen, auch wirklich für sie verwendet werden.

Bis 2008 wird Maisch versuchen, die Interessen von Forschung und Lehre so gut wie möglich zu schützen. Eine weitere Amtsperiode will er sich jedoch keinesfalls zumuten. Schließlich wolle er „natürlich noch etwas anderes“ machen – seine Forschung rund um den Herzbeutel fortsetzen und die präventive Kardiologie vorantreiben. Und mehr Zeit haben für seine Familie.