Frankfurter Rundschau
30.11.2007

Hasenvater im Hörsaal

Fredrik Vahle schreibt Kinderlieder und lehrt an der Gießener Liebig-Universität
Von Gesa Coordes

SALZBÖDEN. Einmal ist Fredrik Vahle auf allen Vieren in den Hörsaal gekrabbelt. Da wollte er die Auswirkung der Körperhaltung auf die Sprachentwicklung demonstrieren. Und ganz nebenbei herausfinden, ob seine Autorität leidet, wenn er die Kleinkindperspektive einnimmt. Die Studierenden kicherten zwar ein wenig, nahmen ihn aber weiter ernst. Was seine Kollegen an der Gießener Universität zu dem Experiment gesagt haben, weiß Vahle nicht so genau: „Für die bin ich sowieso ein Paradiesvogel.“

In der Tat. Fredrik Vahle ist nicht nur der wohl bekannteste deutsche Kinderliedermacher. Prof. Dr. Friedrich Vahle lehrt auch als außerplanmäßiger Professor im Fach Germanistik an der Justus-Liebig-Universität. Außerplanmäßig bedeutet, dass er kein Geld für die Seminare erhält. Ohne sie würde er indes seine Lehrbefugnis verlieren. Sein zentrales Thema – Sprache und Bewegung – unter die angehenden Lehrer und Psychomotoriker zu bringen, macht ihm aber viel Spaß. So plädiert er dafür, dass die Kinder im Unterricht liegen dürfen. Er hat sogar ein Buch darüber geschrieben. „Liegen lassen“, lautet der Titel. Die Hörer kommen auch an der Universität meist in Scharen. Und fast alle kennen seine Lieder schon seit Kindertagen.

Fredrik Vahle wohnt so, wie man es sich für einen Kinderliedermacher vorstellt: In einer kleinen Fachwerkkate, die einst ein Backhaus war, bei der Junkermühle von Salzböden unweit von Gießen. Auto, Fernseher und Handy gibt es natürlich nicht. Dafür einen wackeligen Melkschemel anstelle eines Stuhls, Tee aus einer bauchigen Kanne und Süßstoff aus Blättern, zu denen er Geschichten aus Paraguay erzählt. Wenn der Musiker nicht zu Konzerten oder Veranstaltungen unterwegs ist, verschwindet er morgens erst einmal für Stunden im Krofdorfer Wald: Zum Laufen, Meditieren und Erfinden neuer Lieder. Und wer seinen Platz auf der Anhöhe über dem Dörfchen Salzböden kennt, kann manchmal hören, wie er kleine Melodien auf der Flöte ausprobiert.

Seit 1970 lebt der Kinderliedermacher in dem zu Lollar zählenden Örtchen. Das Politik- und Deutschstudium an der Gießener Uni hat ihn in die Arbeiterwohngemeinde verschlagen, wo er zunächst in eine WG zog. Misstrauisch, aber auch neugierig näherten sich die Salzbödener den Kommunarden an, die sie schon einmal zur Diskussion über theoretischen und praktischen Sozialismus einluden. Vahle promovierte ausgerechnet über die Mundart in der mittelhessischen Ortschaft und setzte sich zwecks teilnehmender Beobachtung zu ungezählten Stammtischen und Festgesellschaften.

Zu den Kinderliedern kam Vahle über die Arbeit mit lernbehinderten Kindern, denen „Alle meine Entchen“ einfach zu albern war. Vahle erfand eigene Songs, mit denen er rasch bekannt wurde.

„Rote Laus im Kindergartenpelz“, nannte ihn die konservative Presse in den 70er Jahren. Selbst im Marburger Stadtparlament wurde damals heiß diskutiert, ob hinter Liedern wie dem „Cowboy Jim aus Texas“ nicht doch ein revolutionärer Umstürzler steckt. Heute gilt er als „Erneuerer des deutschen Kinderlieds“, weil er Themen wie Arbeitslosigkeit und Ausländer nicht aussparte.

„Die Rübe“ war die Platte, mit der er berühmt wurde. Damals war er noch wissenschaftlicher Mitarbeiter. Die Habilitation über die Entwicklung des Kinderlieds hat er eigentlich nur geschrieben, weil er die Uni sonst hätte verlassen müssen. Aber dann hatte er so viel Erfolg mit Annes Kaffeekanne und dem Katzentatzentanz, dass er den festen Job aufgeben konnte. Mehr als 20 Schallplatten und CDs hat er inzwischen veröffentlicht. Bis heute wollen seine immer jünger werdenden Konzertbesucher die alten Songs hören: „Zum Glück gefallen mir die alten Lieder auch heute noch“, sagt 65-Jährige.

Er hat aber viele neue Projekte angestoßen. Gerade hat Vahle eine CD mit Liedern über Delfine und Wale herausgebracht. Der Musiker lebt nämlich ein Drittel des Jahres auf Gomera, wo er Schirmherr des Vereins „Meer e.V.“ ist, der sich den Schutz der Meeressäuger auf die Fahnen geschrieben hat. In Düsseldorf übt er sein Tanztheaterstück „Traum der Tiere“ ein.

Dass er mit seinen Liedern nicht mehr so viel Wirbel verursacht wie in den 70er Jahren, findet er manchmal schon schade. Dafür kommt er nun zu ungewohnten Ehren. Schon im Jahr 2000 hat er das Bundesverdienstkreuz erhalten. Und im Dezember bekommt er die höchste Auszeichnung, die in seiner Wahlheimat zu vergeben ist. Der einstige Bürgerschreck wird der dritte Ehrenbürger Lollars. Ob er dann vom Hasen Augustin singt – der kriegt ja auch einen Orden -, weiß er allerdings noch nicht.