Spiegel online
13. August 2006
Hessische Autorenwurzeln
Das Dorf der Mankells
NIEDERASPHE. Große Kriminalfälle hat Niederasphe nicht zu bieten: Im 30-jährigen Krieg wurde der Küster von schwedischen Soldaten in der Kirche ermordet, 1946 entdeckte man ein Liebespaar tot im Feld – vermutlich aus Eifersucht getötet. Seitdem weiß Bernhard Döpp, Polizist im Ruhestand, nur noch von kleinen Dieben und Nachbarschaftsstreitigkeiten zu erzählen. Das landwirtschaftlich geprägte 900-Seelen-Dorf nördlich von Marburg liegt abseits von Bundesstraßen und Bahnstrecken. Die Grundschule ist schon seit Jahren dicht, nur beim Bäcker gibt es ein paar Lebensmittel. Das Blutrünstigste, was das Dorf mit der mittelalterlichen Wehrkirche heute zu bieten hat, sind sage und schreibe vier Metzgereien. „Das ist bei uns so Tradition“, sagen die Niederaspher.
Doch ausgerechnet in diese beschauliche Ortschaft führen die Wurzeln des berühmten schwedischen Kriminalschriftstellers Henning Mankell.
Mindestens zehn Familien aus Niederasphe tragen seinen Namen. Und noch mehr Familien aus dem Münchhäuser Ortsteil sind irgendwie ihm verwandt.
Zu verdanken haben sie dies Johann Hermann Mankel, dem Ururgroßvater von Henning Mankell. Der wurde nämlich am 19. Dezember 1763 auf einem Bauernhof im Schatten der Kirche von Niederasphe geboren. In dem Gehöft wohnt bis heute ein Zweig der Mankel-Familie.
Doch der junge Johann Hermann Mankel – damals schrieb sich der Name noch mit einem L - war offenbar eine musikalische Begabung. Er lernte zwar noch auf der Orgel in der Kirche von Niederasphe, zog aber schon früh fort, um als Hof- und Kappellmeister unter Herzog Carl August von Sachsen-Weimar zu arbeiten. Über Zwischenstationen in Frankreich und den Niederlanden kam er als Organist zur Herrnhuter Gemeinschaft nach Christiansfeld in Dänemark. Dort hörte ihn der schwedische König Jean-Baptiste Bernadotte, der ihn zum Leiter seines Militärorchesters in Karlskrona machte.
Unter seinen Nachkommen waren Musiker, Komponisten, Opernsänger, Politiker, Maler und - der 1948 in Stockholm geborene Krimiautor Henning Mankell. Dagegen haben die Mankels aus Niederasphe ganz alltägliche Berufe. Die zehn Familien sind aber tatsächlich alle mit dem berühmten Schweden verwandt, versichert Pfarrer Friedhelm Wagner gemeinsam mit dem Heimatverein. Herausgefunden haben sie dies bei den Recherchen für ein geplantes Dorfbuch, für das sie die Kirchenbücher wälzten. Freilich ist die Verwandtschaft recht weitläufig. „Alle heutigen Mankels stammen von einem Großonkel des Auswanderers ab“, sagt der Historiker Dr. Ulrich Stöhr.
Dass die Spuren nach Schweden führen, wusste Margerete Semus (geb. Mankel) allerdings schon lange. Bereits in den 60er Jahren tauchte nämlich ein Onkel Henning Mankells auf der Suche nach seinen deutschen Wurzeln auf. Und er freundete sich mit Margarete Semus an, die inzwischen jedes Jahr zur schwedischen Verwandtschaft nach Stockholm fährt.
Natürlich gibt es in Niederasphe eine leicht erhöhte Leserzahl der Krimis um den knorrigen Kriminalkommissar Wallander aus Ystadt. Manche merken nur kritisch an, dass die Romane „schon ein bisschen grausig“ seien. Direkten Kontakt zu Henning Mankell hatte allerdings noch keiner der Dörfler. Margarete Semus hat nur einmal bei seiner Ehefrau Eva Bergmann – Tochter des Regisseurs Ingmar Bergmann – angerufen, um nachzufragen, ob sie Mankells Wurzeln bekannt machen dürften. „Kein Problem“, beschied die Theaterregisseurin, die die Recherchen aus Niederasphe sehr interessant fand.
Den preisgekrönten Schriftsteller selbst zu einem Besuch einzuladen, „das haben wir uns noch nicht getraut“, sagt der Pfarrer. Aber noch vor Weihnachten soll die neue Dorfchronik vorgestellt werden. Und wenn Henning Mankell dann tatsächlich nach Niederasphe kommt, wollen die Bürger eine Erinnerungstafel für den Auswanderer und seinen berühmten Nachkommen aufhängen.
Gesa Coordes